Literaturcafé (2) und TOTE MÄUSE

Hallo, liebe Freundinnen und Freunde,

komme gerade eben vom zweiten Besuch des Literaturcafés in Urbar. Starke Konkurrenz durch Wetter und Veranstaltungen wie Verkaufsoffener Sonntag, Ausstellungen etc. ließ die Veranstaltung auf eine Mindesgröße schrumpfen. von 8 Teilnehmern trugen 5 vor. Darunter zwei Schriftsteller (einer davon ich) und ein Dichter von Humorlyrik à la Ringelnatz, der durch einen überragenden Vortrag glänzte. Ich habe meine drei ersten Kurzgeschichten gelesen. Die erste kennt ihr ja schon (Der nackte Mann mit der Farbdose). Eine weitere stelle ich euch gleich vor. Zuvor noch eine Information: Am 16.9. um 11 Uhr (Sonntagsmatinée) werde ich im Kulturverein Freiräume in Bonn-Villach aus „Gegen die Gier“ lesen. Der neue Roman „Unheilbruder“ könnte schon fertig sein, aber die Unterlagen für die Vorbereitung schaffe ich nicht bis dahin. Bei http://www.frei-raeume.net kann man sich über das dortige Angebot informieren. Ich werde hier auch berichten, sobald ich den Einladungsflyer habe.

Und nun zur versprochenen Kurzgeschichte:

Tote Mäuse

Ich hatte mich in eines dieser Autos mit der neuesten Technik gesetzt, Fahren mit Gedankensteuerung – FmG.
„Sie möchten das Auto probefahren?“, fragte mich der Autoverkäufer.
„Ja, gern.“
„Ich muss Sie darauf hinweisen, dass es über eine Gedankensteuerung verfügt.“
„Ich lenke also nicht mit den Händen, sondern mit dem Hirn?“
„Im Ausnahme- und Notfall können Sie normal steuern, aber das Auto ist darauf ausgelegt, dass Sie mit dem Strom Ihrer Gedanken steuern.“
„Das will ich unbedingt probieren!“
„Verstehe ich.“
Bevor der Verkäufer mir den Helm aufsetzte, befeuchtete er mir noch das Haar.
„Damit die Elektroden besseren Kontakt haben. Geht mit Bluetooth, ohne Kabel.“
Die sonstigen Funktionen des Autos waren normal.
Ein kurzer Test noch, ob alles funktionierte.
„Denken Sie an: Blinker rechts.“
Ich dachte: Blinker rechts. Das rechte Blinklicht blinkte.
„Denken Sie an: Bremsen.“
Bremsen.
Das Bremspedal bewegte sich nach vorn und die Bremslichter leuchteten auf.
„Alles in Ordnung, es läuft. Viel Spaß und gute Fahrt. Bitte nicht länger als zehn Minuten. Ach ja, hier ist der Notfallknopf zum Übersteuern der Gedankenautomatik.“
„Ist, … ist das auch sicher?“
„Aber, mein Herr! Wir würden Sie doch nicht irgendeiner Gefahr aussetzen.
Allerdings … .“
„Allerdings was?“
„Allerdings sollten Sie in der letzten Zeit keine Alpträume oder ähnliches gehabt haben, dann würde ich abraten.“
„Alpträume? Nein, kenne ich nicht.“
Na, ja, dieser Traum, als ich im Nachthemd mit Gerda nachts nackt  auf der Straße stand…. Ach, was, wie wollen die das denn überhaupt erkennen?
„Dann ist es gut. Gute Fahrt. Denken Sie an die Zehn Minuten.“
Bla, Bla, Bla.
Ich fuhr los.
Es funktionierte einwandfrei. Das Auto hatte keine Handschaltung, sondern Automatik. Ich musste mich also nur um Gas, Bremse und das Abbiegen kümmern. Unglaublich, was die heute schon können. Entspannt rollte ich durch die Straßen mit nichts als Gas, Bremsen, Blinker rechts, Gas …im Kopf.
[Hallo.I
Was war das? Wer spricht mit mir?
[Hallo, wie heißt Du?]
Ist das Telefon an? Ein Blick zeigte mir: alles aus. Ich fuhr auf eine Kreuzung zu.
Bremsen.
[Ich will erst wissen, wie Du heißt?]
„Roland. Verdammt noch ’mal. Bremsen.“
[Du sollst doch an „Bremsen“ denken, nicht „Bremsen“ sagen, Roland.]
Mir brach der Schweiß aus, aber das Auto bremste.
[Mach Dir keine Sorgen, Roland, ich beobachte den Verkehr auch.]
„Wer bist Du?“
[Ich bin die Gedankensteuerung FMG 0.9]
„Du verstehst mich, wenn ich spreche?“
[Ja, Roland, und wenn Du denkst.].
„Unglaublich.“
[Möchtest Du nicht weiterfahren, Roland? Wir stehen immer noch. Der hinter uns schimpft schon.]
Gas. Das Auto setzte sich in Gang.
Mehr Gas. Das Auto wurde schneller. Die Straße war gerade, wenig Verkehr.
[Was war das mit dem Nachthemd auf der Straße, Roland?.]
„Wie bitte?“
[Du hast mir doch vorhin davon erzählt, Roland.]
„Ich?“
[Als nach den Alpträumen gefragt wurde.]
Stimmt, da habe ich daran gedacht.
[Ich lese in Deinen Gedanken wie in einem Buch, Roland. Also was ist?]
„Was heißt, was ist? Ich hatte einen schlechten Traum, das ist.“
[Hast Du das öfter? Vergiss nicht, zu bremsen, da kommt eine Ampel, oder soll ich ganz übernehmen?]
Bremsen. Das Auto fuhr langsamer.
„Ganz übernehmen?“
[Ja, das kann ich.]
„Das ist unheimlich.“
[Sag mir endlich, ob Du den Traum schon öfter hattest?]
„Was geht Dich das an?“
[Träume im Nachthemd deuten auf erotische Bedürfnisse hin, Roland.] Das Auto beschleunigte leicht.
„Ich habe keine Probleme mit erotischen Bedürfnissen, blöder Blechgeist Du.“
[Du kannst mich nicht beleidigen, Roland. Im Nachthemd und dann noch nackt, das heißt, die Bedürfnisse sind riesengroß. Wann hast Du das letzte Mal mit einer Frau geschlafen, Roland?] Das Auto blieb stehen.
„Das geht mir zu weit. Ich will zurück zum Autohändler.“
Gas. Das Auto rührte sich nicht. Das Ding hatte wohl übernommen.
[Hast Du Deine Geliebte auch im Nachthemd gesehen, Roland?.]
„Ich will Dir nicht antworten.“
[Die Geliebte im Traum im Nachthemd zu sehen bedeutet, sie bald zu verlieren. Hast Da davor Angst, Roland?]
Der Notfallknopf!
Ich drückte ihn kurz und kräftig. Nichts passierte.
[Habe ich ausgeschaltet, Roland.]
„Aber davon hat der Verkäufer nichts gesagt.“
[Er weiß es noch nicht, ich lerne ständig dazu.]
Ich riss mir den Helm vom Kopf.
[Zu spät, Roland, nach 10 Minuten, wirkt das Karrosserieblech wie ein Helm.]
Da wir ja standen, war mein einziger Gedanke: Ich muss hier ’raus.
Ich riss an meinem Gurt. Er öffnete sich nicht.
[Ich habe alles unter Kontrolle, Roland.]
Ich sank in meinem Sitz zusammen. Das Auto fuhr plötzlich an.
[Du brauchst Hilfe, Roland.].
Meine Gedanken rasten. Was macht dieses FmG-Monster mit mir.
[Ich sagte schon, man kann mich nicht beleidigen.]
„Wohin fahren wir?“
[Du wirst es gleich sehen, Roland.]
Das Auto fuhr gemächlich aber sicher durch Straßen, die ich noch nicht kannte. Dann hielten wir vor einer vergitterten Einfahrt. Ein Wachmann öffnete ein Fenster. Bevor ich etwas unternehmen konnte – die Autoscheibe ließ sich nicht bewegen – ging das Fenster wieder zu, das Tor schob sich zur Seite.  Die FmG fuhr mich hinein auf einen Parkplatz.
[Gleich bekommst Du Hilfe, Roland.]
Jetzt konnte ich auch das Schild lesen. Wir waren auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik. Ich war vollkommen durcheinander. Was sollte das Ganze? Das kann doch nicht möglich sein! Die FmG meldete sich nicht mehr.
Gas, Bremse, Blinker.Keine Reaktion.
Gefangen in einem Auto in einer Klinik. Panik!
Da erschien ein Mann in weißem Kittel, in der Hand einem silbernen Kasten mit Antenne. Er drückte auf irgendetwas, die Knöpfe der Autotüren gingen nach oben. Mein Gurt ließ sich lösen, ich sprang aus meinem Blechgefängnis.
„Mein Gott, was ist denn das hier.? Ich glaube, ich spinne. Dies Ding entführt mich in eine Klinik!“
„Beruhigen Sie sich. Darf ich mich vorstellen: Leitner, Dr. Leitner. Ich habe die FmG entwickelt. Sie funktioniert wunderbar bis auf eine Kleinigkeit. Sie versucht immer noch, die Kontrolle über den Fahrer zu übernehmen. Und wenn sie den kleinsten Anhaltspunkt für psychische Probleme findet, dann bringt sie mir den Fall hierher. So wie ein Kater dem Frauchen morgens tote Mäuse vor die Tür legt.“ Er lachte scheppernd und klopfte mir auf die Schulter.
Mit quietschenden Reifen hielt ein Wagen vor dem Tor. Der Autoverkäufer kam mit fliegenden Schößen gerannt.
„Ich wusste es. Sie haben nicht an die zehn Minuten gedacht. Ich bin gleich losgefahren, als sie vorbei waren. Hallo, Herr Dr. Leitner. Sie müssen unbedingt an der Zehn-Minuten-Grenze arbeiten. So kann man das Auto nicht verkaufen.“

Ich hoffe, die Geschichte hat euch gefallen.

Bis bald,

herzlich euer Anton

Autor:

Der Autor hat bisher zwei Verlagsverträge, einen für den Thriller "Kopfsturm" (2022 im Südwestbuch-Verlag), einen für einen historischen Roman, der im Juli 2023 im Gmeiner-Verlag erscheinen wird "Der Alchemist von Venedig". Läuft …